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„Die Unheimlichkeit

(von etwas das da ist, ohne da zu sein) ist die Bedingung (...) für die Frage des Seins, für ihr Unterwegs-Sein.“

Jacques Derrida

THE UNTITLED

PERFORMANCEFESTIVAL

In unserem Kulturkreis scheint es selbstverständlich die Dinge klar zu unterscheiden, sie auseinander zu halten und möglichst eindeutig voneinander zu trennen. Wir werden dazu angehalten Ordnung zu halten, Mauern und Zäune zu errichten, um den Bereich in dem wir umgehen abzusichern und uns so schließlich in Geborgenheit ein Heim einzurichten, einen geschützten Bereich. In diesem Sinne finden wir nicht nur unsere Eigenheime als in solcher Weise befriedete Zonen, sondern durchziehen auch abseits von diesen Gemäuern unzählige Grenzwälle unsere Kultur. Wir richten unser Handeln und Denken diesen Grenzen entsprechend aus und die wiederholte Bestätigung der Grenzen birgt den Anschein als handle es sich dabei um etwas Naturgegebenes, etwas „Normales“. Wir tun uns allgemein schwer im Umgang mit Unzuordenbarem, mit Schwellenwesen und sind dementsprechend stets bemüht ebensolche aufzulösen, auszublenden oder einzuebnen. So erscheinen nicht nur wissenschaftliche Disziplinen und Fachbegriffe, politische Bewegungen und Diskurse durch ein Geflecht schützender Häute gesichert und durchzogen, sondern werden auch in der Kunst stabile Verhältnisse gesucht, in definierten Disziplinen, in definierten Produktions-, Veranstaltungs- und Ausstellungsorten.

Die Zeiten in denen man Kunstgattungen zueinander zu öffnen versucht hatte sind längst vergessen. Gegenwärtig ist Krise angesagt – Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Wohnungskrise, Arbeitsmarktkrise – mit der allgemeinen Tendenz sich durch Einmauern zu festigen, als würde dies helfen seine eigene Identität abzusichern. „Sicher ist sicher“, beschwört man die Ordnung wie mit einer Zauberformel und vergisst dabei, dass Gespenster nicht einzeln auftreten, sondern immer in Scharen. Denn in einer dialektisch geprägten Gesellschaft verweist die Ordnung zumindest auf ein Gegenbild, nämlich die Unordnung, diese suchte man ja in der Beschwörung zu bannen. Sicher ist sicher – wiederholt es sich, und das immer wieder. Dabei fungiert die (vermeintliche) Abgeschlossenheit einer solchen am Laufen gehaltenen Zeichenmaschine wie ein Schutzschild. Das am Laufen Gehaltene ermöglicht es, sich zu verstecken, ermöglicht es sich hinter ihm und in ihm zu verbergen, sich zurückzuziehen. Wir versichern uns dabei also nicht allein unserer eigenen Existenz, sondern nehmen uns damit zugleich auch aus dem Kreis des Lebendigen, des Dynamischen, des Zweifelnden heraus. Versteckt hinter dem Eindeutigen und scheinbar Befriedeten zeigt sich das damit Erstrebte, das gänzlich Reine, Eindeutige und Saubere, das von Enthaltsamkeit und Starrheit Geprägte – also letztlich das Nicht-mehr-Lebendige, das Tote. Wir halten, von Gemäuer umgeben und zur Bewegungslosigkeit verurteilt, gebannt den Atem an. Wir stellen uns lebendig und tot zugleich: untot. Wie es also aussieht, können wir dem Prekären und Paradoxen schlichtweg nicht entkommen.

Nun stellt sich uns aber doch die Frage, ob wir, angesichts einer solchen Bestandsaufnahme, nicht doch wieder aktiv zu atmen beginnen wollen. Dies umso mehr, da die Starre ohnehin eher eine strategische Maßnahme zu sein scheint, als tatsächliche Realität. In diesem Sinne möchten wir uns im vorliegenden Projekt prekärer Schwellenwesen annehmen, wollen mal im Gemäuer wieder für gehörig Durchmischung, ja für Wirbel sorgen. Es geht darum wieder Leben in die Bude zu bringen und dabei wenn möglich auch einiges an Staub aufzuwirbeln!

Wohlwissend, dass wir hier gegen die Bequemlichkeit arbeiten, die alles beim Alten lassen möchte, wollen wir dennoch am fein säuberlich Getrennten rütteln, wollen sehen, ob darin überhaupt noch ein Funke von Leben steckt. Und dafür muss man es an seinen Rändern anfassen, an jenen Schwellenbereichen in denen letztlich seine gesamte prekäre, und das bedeutet seine lebendige, Konstitution sichtbar wird.

Im Sinne von Interaktion und Austausch, und im Bewusstsein dessen, dass wir dabei nicht allein auf weiter Flur und aus freien Stücken originär Neues leisten, beziehen wir uns bereits mit dem Titel – „The Untitled“ – auf ein ähnliches Unternehmen: Im Jahre 1952 organisierte John Cage mit dem „untitled event“ am Black Mountain College ein multimediales Happening, bei dem unterschiedliche Kunstdisziplinen miteinander in Interaktion gesetzt wurden. Die sich dabei ereignende Simultaneität und Momentanität unterschiedlicher Standpunkte, soll auch im Fall von „The Untitled“ einen mehrdeutigen Bereich des Erlebens, Erfahrens und Erkennens eröffnen.

Unser Anliegen ist es also nicht den Rand in die Mitte zu kehren, sondern den Rand als Mitte sichtbar zu machen, und damit auch unsere eigene „Gespensterhaftigkeit“ in Erscheinung treten zu lassen. Es geht darum, unsere eigene Unheimlichkeit im Sinne eines positiv besetzbaren Möglichkeits- und Gestaltungsraums auszuleben, unsere eigene Heimsuche als Heimsuchung im Sinne einer Begeisterung zu erleben.

(Michaela Adrigan, Peter Brandlmayr & Michaela Senn)

 

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